Es geht uns gut : Roman

Geiger, Arno, 2005
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Medienart Buch
ISBN 978-3-446-20650-2
Verfasser Geiger, Arno Wikipedia
Systematik DE - Dichtung Erzählung
Schlagworte Lebensgeschichte, Familiengeschichte, Vergangenheitsbewältigung, Familienroman, Alltagstrott
Verlag Hanser
Ort München
Jahr 2005
Umfang 389 S.
Altersbeschränkung keine
Sprache deutsch
Verfasserangabe Arno Geiger
Annotation Quelle: Apropos. Straßenzeitung für Salzburg (http://www.apropos.or.at/);
Autor: Michaela Gründler;
Richtig leben
Philipp probiert es mit Nichtstun. Mit einer "Ich-lasse-mit-mir-geschehen"-Mentalität. Quasi resignativ-hoffnungsfroh hat es sich der "Held" in Arno Geigers preisgekröntem Roman "Es geht mir gut" (Deutscher Buchpreis) in seinem Leben eingerichtet. Als er das Haus seiner Großmutter erbt, will er sich der Vergangenheit nicht wirklich stellen. Dennoch erscheinen in Rückblenden die Lebensverläufe seiner Familie, deren gemeinsamer Nenner darauf hinausläuft, dass sich alle drei Generationen die Liebe anders vorgestellt haben - sowie das Leben, das manchmal so unsagbar einsam sein kann - ob man es alleine oder in einer Beziehung verbringt. Geiger durchtränkt Österreichs dunkle Vergangenheit während des Zweiten Weltkrieges über die anschließende Staatswerdung bis zur Jetzt-Zeit mit einer Familiengeschichte, in der die Werte aufeinander prallen, wie man "richtig leben" soll. Ein gelungenes österreichisches Familienkaleidoskop.

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Quelle: bn.bibliotheksnachrichten (http://www.biblio.at/literatur/bn/index.html);
Autor: Elisabeth Mayerhofer;
Blitzlichtartige Lebensbilder einer gut situierten Wiener Familie, beginnend im Jahr 1938 mit dem vorläufigen Schlusspunkt Jahrtausendwende. (DR)

Der Autor schildert mit melancholischem Unterton und in unregelmäßig alternierender, achronologischer Abfolge Ausschnitte aus drei vorerst zusammenhanglosen Generationen, die sich im Laufe des Romans zu einer Familiensaga verklinken. Neben dem verwandtschaftlichen Verhältnis ist den Protagonisten eine sich zunehmend ähnlich entwickelnde Grundhaltung eigen: Erst aussichtsvolle, Erfolg versprechende und von Kampfgeist geprägte Perspektiven werden zu einem öden Einerlei, aus dem auszubrechen, jedem Einzelnen die Kraft fehlt. Was die bedrückende Erkenntnis mit sich bringt, dass Unzufriedenheit mit Vergangenheit und Gegenwart nicht notwendigerweise zur erhofften sinnerfüllten und glücklichen Zukunft führt.
Die Familienbande erweisen sich nur vordergründig als Rückhalt, häufiger entpuppen sie sich als Klotz am Bein auf dem Weg zur individuellen Entfaltung, was den Betroffenen das Gefühl vermittelt, nur Zuschauer in ihrem eigenen Leben zu sein, dem sie nicht die gewünschte Richtung zu geben imstande sind und wogegen sie mit hilflos anmutendem Aufbegehren ankämpfen. Eine nüchterne und ernüchternde, am Leben orientierte Lektüre.

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Quelle: Buch und Medien Südtirol (http://www.provinz.bz.it/kulturabteilung/bibliotheken/320.asp);
Autor: M. Fritz;
Für diesen Roman hat Geiger den Deutschen Buchpreis 2005 für den besten deutschen Roman erhalten. Er umfasst drei Generationen einer Familie von 1938 bis 2001: die Hauptfiguren Dr. Richard und Alma Sterk, die Großeltern, ihre Kinder Ingrid und Otto, Ingrids Mann Peter und den Enkel Philipp. Arno Geigers Erforschung der Familie Sterk beginnt im Jahr 2001 mit einer Rückblende auf dem Dachstuhl eines zweistöckigen Hauses. Knöcheltief Taubenkot und Gestank. Philipp Erlach, ein Schriftsteller, der nicht schreibt, hat das Haus in der Wiener Vorstadt von seiner Großmutter Alma Sterk geerbt. Geiger zeigt, wie die klassische Familienkonstellation auseinanderbricht: Vater, Mutter und zwei Kinder. Die einzelnen Familienmitglieder werden in bedeutsamen Situationen dargestellt. Der Erzähler greift nur wenige Tage heraus, hüpft zwischen diesen hin und her, um immer wieder in der Gegenwart zu landen: bei Philipp. Der Familienpatron Dr. Richard Sterk, autoritär, christlich konservativ, der sich im Jahr des "Anschlusses" in ein inneres Exil zurückzieht. Er hat eine verantwortungsvolle Stellung in der Elektrizitätswirtschaft (und daher muss er auch nicht zur Wehrmacht). Seine Frau Alma zieht sich zurück und züchtet Bienen. Der Sohn Otto, Hitlerjunge, kommt im April 1945 im Kampf um Wien um. Dann aber kommt doch noch Sterks Zeit: In den 50er Jahren gelangt er als Minister zu Ansehen, er ist beteiligt an den Verhandlungen zum Staatsvertrag. Als Vater ist er ein Versager. Zu seiner Tochter Ingrid kann er nicht die geringste Verbindung herstellen. Ingrid wendet sich brüsk ab und heiratet den Schwächling Peter, sie wird Ärztin, bekommt zwei Kinder, Sissi und Philipp. Geiger stellt das Familienleben als absurde Folge von Kettenreaktionen dar: Ingrid flieht den autoritären Vater und heiratet einen Schwächling. Ingrid stirbt früh bei einem Badeunfall. Ingrids Sohn Philipp ist noch schwächer als sein schwacher Vater. Nach Ingrids Tod ist es wiederum Peter nicht möglich, zu seinen Kindern Sissi und Philipp ein unbeschwertes Verhältnis aufzubauen. Man kann sagen, dass Geiger den Buchpreis zu Recht erhalten hat. Der Roman ist klug konstruiert, Geiger erzählt mit Witz und Genauigkeit. Ein, Buch, dem man viele Leser wünscht!

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Quelle: Literatur und Kritik;
Autor: Wolfgang Straub;
Vom Verhältnis zur Geschichte und zum Kindermädchen
Ein schönes Schlussbild: Der Protagonist des Romans sitzt am Hausdach und macht sich daran, "auf dem Giebel seines Großelternhauses in die Welt" hinauszureiten. Ein Bild wie aus einem Kinderbuch - im magischen Denken der Kinder kann alles und jeder fliegen. 300 Seiten vorher liest Philipp, Arno Geigers unerwachsener Romanheld, tatsächlich in einem Kinderbuch: Weil er wieder einmal völlig antriebslos in den Tag hineingeht ("Den ganzen Vormittag bringt Philipp nichts zustande"), nimmt er die "Stanisläuse" zur Hand. Ein mit Bedacht gewähltes Detail: Das 1962 erschienene Buch "Der alte und der junge und der kleine Stanislaus" von Vera Ferra-Mikura und die Fortsetzungen dieses rührigen Männerbundes über drei Generationen hinweg standen in vielen österreichischen Haushalten. Mit solchen signalartigen Realpartikeln verknüpft Geiger sein Romangeschehen mit der jüngeren österreichischen Geschichte, "Es geht uns gut" will ja nichts weniger als 60 Jahre Zeitgeschichte durch eine Familiensaga - wie bei Ferra-Mikura aus drei Generationen bestehend - rinnen lassen. Hegt man anfangs noch Zweifel, ob der Autor dieses große Gewicht wird stemmen können, so merkt man spätestens bei der Passage mit den "Stanisläusen", dass es Geiger gelingt, mit Ironie, mit Offenlegung aller Schwächen seiner "normalen" österreichischen Familie und einer formalen Bekenntnis zum Ausschnitt, zum Fragment seinem Unternehmen große Leichtigkeit zu verleihen.
Allerdings legt die "Stanislaus"-Passage auch das einzige störende Detail des Text offen: Geiger macht aus seinem Philipp einen Schriftsteller und baut von ihm verfasste Textpassagen ein, der Lektüre des Ferra-Mikura-Klassikers etwa folgt ein Ausschnitt aus seinem geplanten Familienroman, in dem mehrere Stanisläuse vorkommen und in dem Geschichte - wie in den theatralischen Rückblicken des 1952 gedrehten Staatsfilms "1. April 2000" - inszeniert wird. Dieser Metaebene, und sei sie noch so gebrochen und ironisch, hätte es nicht bedurft, auch ohne "Text im Text" wird für den Leser die Konstruiert- und Inszeniertheit von Geschichte - und des Geiger'schen Romanfortgangs - transparent, schließlich zerteilt Geiger seine Chronik von 1938 bis 2001 filmartig in 21 Tagestranchen. Zudem verleitet die Berufswahl des Protagonisten dazu, in Philipp ein Alter Ego Geigers zu erblicken, was zwar in Selbstzensur sofort als Überinterpretation gebrandmarkt, aber schwer verhindert werden kann.
Es bleibt bei diesem einzigen Störfaktor, sonst staunt man beim Lesen immer wieder, wie geschickt Geiger die großen Themen Familie und Österreich verknüpft und dabei Intentionalität und Pathos umschifft. Dabei müssen seine Figuren nicht wenig an 2000 österreichischer Geschichte mit- und ertragen: Philipps Mutter wird zur Zeit des "Anschlusses" geboren, der Onkel kommt im Frühjahr 1945 bei den Kämpfen um Wien um, der christlichsoziale Großvater übersteht, sich "unauffällig haltend", den Krieg unbeschadet in der Heimat und wird in den fünfziger ahren Minister, Philipps Mutter Ingrid spielt als Statistin in einem der zentralen Heimatfilme Österreichs, dem "Hofrat Geiger" von 1947 mit (wegen der schönen Namensgleichheit mit dem Autor?), Philipps Vater arbeitet, wenn auch nur, wie er sagt, in "Ferialarbeit", am zentralen Aufbaumythos, dem Kraftwerk Kaprun, mit, der nächsten Generation bleibt noch, die Aufstellung der Fußballnationalmannschaft im Córdoba-Spiel 1978 auswendig hersagen zu können. Die österreichischen Mythen und Gedächtnisorte tummeln sich in der Familiengeschichte, aber diese Involvierungen passieren eher zufällig und es ergibt sich daraus nichts Heroisches. Im Gegenteil: Geigers Figuren, selbst der Minister-Großvater, sind in erster Linie medioker. Die Mittelmäßigkeit, so Geiger sinngemäß in einem Zeitungsinterview, sei in den fünfziger Jahren zu einer österreichischen Identitätsstifterin geworden und bei seinen Recherchen in den Mittelpunkt seines Interesse gerückt.
Große Themen heruntergebrochen auf den Alltag einer normal kaputten Familie: Da fühlte sich "Die Welt" gleich bemüßigt, am Erstveröffentlichungstag von "Es geht uns gut" mit großer Erleichterung das "Erwachsenwerden" der österreichischen Literatur und das Ende des "pubertären" Herumhackens auf das Land zu konstatieren. Würde man dieses krude Entwickungsschema für einen Moment ernst nehmen, könnte man etwa die Bilderwelt Geigers dagegen ins Treffen führen. Denn schon über die zentrale Metapher des Buches, dem Haus, ist der Text (unbewusst) mit großen Pubertierenden der österreichischen Literatur verbunden. Das Haus, das geruchsintensiv vor sich hinmodernd unheilvolle Geschichte(n) in sich birgt, findet sich beispielsweise in Hans Leberts "Feuerkreis", in Thomas Bernhards Wolfsegg tun sich "Geschichtsabgründe" auf - und das Haus ist dabei stets auch das Haus Österreich. Auch Geigers Hietzinger Villa ist infernalisch (der Geruch des Dachbodens!) und verangenheitsträchtig, aber hier obwaltet kein Bernhard'scher Furor, es wird nichts ausgelöscht. Der Taugenichts Philipp kann mit dem zu großen Erbe nur umgehen, indem er es auf Spielformat verkleinert. Geiger geht spielerisch vor, aber er gibt seine Figuren niemals der Lächerlichkeit preis. Er geht vielmehr in die Figuren hinein und erzählt detailreich, empathisch ihr Scheitern, ihren Verfall, ihren Tod.
Nebenbei schreibt Geiger eine Geschichte der fortlaufenden Auflösung einer in der neueren österreichischen Literatur seltenen sozialen Gruppe, dem Bürgertum. Aber anders als bei dem breit angelegten, 2003 in Italien produzierten Filmepos "La meglio gioventù", das 40 Jahre italienische Zeitgeschichte mithilfe einer bürgerliche Familie erzählt und an das der Roman, auch wegen seiner filmartigen Ausschnitte, ein wenig erinnert, hat die Familie hier keinen Bestand. Zwar ist der bei Pasolini entlehnte Titel des Films ebenfalls ironisch verwendet (in Österreich lief er nicht als "bessere Jugend", sondern als "Die besten Jahre"), aber die Familie wird als Kern des Staates nicht angegriffen. Bei Geiger hingegen trägt bereits der der Großvater den Kern der Auflösung in sich, er kann mit seinen Kindern nichts anfangen, ist abgehoben, solipsistisch, ohne Familiensinn. So wird das Verhältnis mit dem Kindermädchen zu mehr als einem gebräuchlichen Inventar des bürgerlichen Alltags, zu einem Vorboten des Verfalls - und zu einem schönen Beispiel, wie der Autor die "große" Geschichte, in dem Fall den "Anschluss" 1938, in die Imponderabilitäten seiner Figuren hereinholt: "Er sagt sich, hätte der Einmarsch bloß zwei Wochen früher stattgefunden, wäre er auf das Kindermädchen niemals zugegangen, soviel steht fest."

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Quelle: Literatur und Kritik;
Autor: Harald Klauhs;
"Hofrat Geiger" triumphiert über die Geschichte
Die Ankündigung von Arno Geigers Roman "Es geht uns gut" in der Verlagsvorschau des Hanser Verlags hat mich neugierig gemacht: Drei Paare einer österreichischen Familie, in deren privater Unordnung sich die politische spiegelt, nicht chronologisch, sondern ineinander verschränkt erzählt, das schien mir ein überzeugendes literarisches Konzept für einen modernen Generationenroman. Ich erwartete, die Geschichte der Zweiten Republik und deren Vorgeschichte, aufgehängt an individuellen Schicksalen, auf heutigem Wissensstand nichtlinear dargestellt zu bekommen - und war gespannt. Und so kam es, wie es mitunter kommt, wenn die Erwartungen künstlich hochgeschraubt werden.
"Er hat nie darüber nachgedacht", fange ich zu lesen an. 390 Seiten später weiß ich: Der Satz war Programm. Und bei der Lektüre der unzähligen Sätze dazwischen bemerkte ich mit wachsendem Unverständnis, wie zur Unbedachtheit auch noch Ungeschick und Unvermögen dazukamen. Ungeschick schon im ersten Absatz in der Formulierung: "Schicht auf Schicht wie Zins und Zinseszins." Nun ist der Zinseszins ein Anteil vom Zins, etwas Abgeleitetes, nichts Draufgelegtes. In diesem Vergleich sind somit die sprachlichen Schichten durcheinander geraten. Kleinlich, mag man sagen, bei dem Bogen, den der Autor über 60 Jahre heimischer Historie spannt. Stimmt, ginge es nur um ein paar Schlampigkeiten. Ist aber nicht der Fall.
Je länger man liest, desto deutlicher wird nämlich, dass die sprachlichen Schnitzer nicht einem Konzept folgen, also etwa einer Rollenprosa zuzuschreiben sind, nein, sie sind relativ gleichmäßig über den gesamten Roman und dessen Personal verteilt. Würde "Spiegel"-Redakteur Bastian Sick seine Sprachglosse "Zwiebelfisch" mit Beispielen aus "Es geht uns gut" bestücken wollen, er hätte Material für Jahre. Denn es geht dabei nicht um Beckmessereien, wie zum Beispiel, dass Arno Geiger die südsteirische Stadt Leibnitz wie den deutschen Universalgelehrten Leibniz schreibt. Es geht auch nicht darum, dass Soldaten hier ihre "schußbereiten Gewehre unter den Ellbogen" tragen. Meinethalben soll es sogar noch einen "siebten Sinn" geben, auch wenn mich mein sechster schon oft betrügt. All diese Gedankenlosigkeiten, selbst wenn sie in einem Buch eines renommierten Hauses wie Hanser in dieser Massivität eher selten vorkommen, sind nur Symptome.
Schon seit Erscheinen des Buches und immer noch ist auf der Homepage der Online-Buchhandlung Amazon ein Auszug aus Geigers Roman zu lesen. Es sind ein paar Seiten aus jenem Kapitel, das im August 1938 spielt und das in mancherlei Hinsicht für den Roman repräsentativ ist. "Mit Haaren, die hinten kreuzquer verlegen sind", heißt es da; eine Formulierung, die mich verlegen macht. "dass Crobath sich als Eislauflehrer am Heumarkt verdingte, um seine magere Menage aufzubessern", liest man da. Eine Verwendung des Wortes Menage, für die man zum sprachlichen Rapport abkommandiert werden sollte. Und dann habe ich mich bemüht, mir vorzustellen, wie das zugeht, wenn "Frieda Tassen und Schalen mit etwas sanft Schepperndem in ihren Bewegungen" verteilt. Ob das Scheppernde in den Bewegungen ebenso schmerzhaft ist, wie wenn Crobath "seine Augen auf das Mädchen" heftet oder "alle mit ins Rad greifen"? Geiger opfert der (scheinbar) witzigen Formulierung die sprachliche Präzision. Und genau dieser Umgang mit Sprache findet sich in seiner Behandlung der Geschichte wieder. In besagtem Kapitel geht es um die Vorgeschichte der Zweiten Republik, also darum, woran der 1945 gegründete Staat anschloss. Da trifft nun der christlichsoziale Vizedirektor der städtischen Elektrizitätswerke Dr. Richard Sterk im August 1938 auf den soeben an die Macht gekommenen Nazi Crobath, seinen ehemaligen Kameraden von den Naturfreunden, und der Autor merkt auktorial an, dass Crobath "in seiner Kantigkeit vitaler und um Jahre jünger wirkt" als Richard. Der so ein wenig dekadent charakterisierte Christlichsoziale wird in der Folge von dem kraftmeierischen Nazi dazu aufgeforder 2000 t, eine Klage gegen einen seiner Parteigenossen zurückzuziehen. Was macht daraufhin der spätere Minister der Zweiten Republik? Er überlegt, wie er die "kinderspeckige Weinviertler Molligkeit" wieder los wird, die er zu seiner Geliebten gemacht hat. Denn "die Intimitäten mit dem Kindermädchen haben ihn, was Inkorrektheiten anbelangt, an die Grenze seiner Belastbarkeit geführt". Indem er Ordnung in seine privaten Verhältnisse bringt, löst er also den politischen Konflikt bzw. die politische Bedrohung auf. Und damit ist die Haltung des Autors bezeichnet, die sich durch das Buch zieht: dass nämlich das Private das Politische beeinflusst und nicht umgekehrt.
Zu zeigen, wie sehr damals das Politische das Private beherrscht hat, darin hat ein Autor jegliche Freiheit. Stattdessen benutzt Arno Geiger die Wirklichkeit, um seine Fantasiearmut mit "signalartigen Realpartikeln" (siehe Wolfgang Straub) zu kaschieren. Geschichte wird hier ersetzt durch eine geschickte Aneinanderreihung von Klischees. Es ist ein falsches Spiel mit Versatzstücken der Geschichte, vergleichbar mit der "Ostalgie" ehemaliger DDR-Bürger, welche die "Realverfassung" des Staates verdrängt und verleugnet. Noch deutlicher wird das im Kapitel, in dem Geiger den Kampf einiger Hitlerjungen gegen zwei T-34-Panzer der Roten Armee schildert: "Der Vierzehnjährige wirft die jetzt abgezogene Handgranate in das Rohr des Geschützes, das kurz darauf mit einem satten Knall platzt." Nachdem das Grüppchen Hitlerjungen solcherart zwei sowjetische T-34-Panzer lahm gelegt hat, fliehen zwei von ihnen über die Weingärten nach Kahlenbergerdorf. Ein solche Landser-Heft-Romantik hätte sich nicht einmal der "Völkische Beobachter" zu schreiben getraut. Abgesehen davon, dass Fähnleinführer" kein Dienstgrad der Hitlerjugend war, sondern ein Anführer im "Jungvolk", waren Fähnleinführer auch schon älter als 14 Jahre. Beim Einmarsch der Roten Armee gab es keine kämpfenden Fähnleinführer mehr in Wien. Die waren nämlich entweder schon Soldaten oder bereits tot.
Dazu kurz Grundsätzliches: Geschichte wird seit je von der Literatur als Stoff verwendet. Dabei muss sich der Dichter keineswegs an das halten, was war. Doch, wie Ruth Klüger in ihrer Wiener Vorlesung über "Dichter und Historiker - Fakten und Fiktionen" festgestellt hat, kann, "wer über Wirkliches schreibt, sich nicht über Wirkliches hinwegsetzen". Ist es "doch gerade unser Wissen um die Tatsachen, das uns begierig macht zu erfahren, was der Dichter damit angefangen hat". Und was fängt nun Arno Geiger damit an? Nehmen wir die Schlussszene, die Wolfgang Straub (siehe dort) so begeistert. Die kann man - kontrastiert man sie mit dem Anfangsbild - auch ganz anders lesen als ein "in die Welt hinausreiten". Man kann sie als ein Triumphieren über den Dreck der Geschichte interpretieren. Haben doch in der Anfangsszene die Friedenstauben auf dem Dachboden der Hietzinger Villa (die symbolisch für die Casa d'Austria steht) die dort lagernden Kriegserinnerungen zugeschissen. Held Philipp, der von der Vergangenheit nichts wissen, aber sehen will, was er ererbt von seinen Vätern, steckt kurz den Kopf durch die Dachbodentüre, um vom Pesthauch sofort zurückgestoßen zu werden. Am Schluss nun, als die ausländischen Schwarzarbeiter aufgeräumt haben, lässt er auf dem Dach allen Dreck unter sich: Die Geschichte ist entsorgt.
Geiger spielt Dr. Jekyll and Mr. Hyde mit seinem Roman(anti)helden Philipp. Der Autor konstruiert sich einen geschichtsverdrängenden Helden, der von seinem (angeblich) geschichtsaufarbeitenden Autor auf den rechten Pfad geführt wird. Der eigentliche Held des Buches ist nämlich der Autor, der beflissen eine Geschichte rapportiert, die sein Mr. Hyde zu verdrängen sucht, und die sich in jeder Jubiläumsbroschüre zu den Republiksfeiern gut ausgenommen hätte. Der Autor wird zum Selbsttherapeuten. "Wo sich Literatur der Geschichte nur bedient, sie sozusagen kannibalisiert, da verkommt sie zum Kitsch." Sagt Ruth Klüger.
So gesehen stimmt an diesem Buch nichts, nicht einmal der Titel: Es geht uns nämlich nicht gut, gar nicht gut - mit Romanen dieser Art, bei denen nämlich kein, wie es typisch hölzern einmal heißt, "Denkprozess in Bewegung gekommen ist". Dass der Verlagslektor, der das Manuskript angenommen hat, das Buch verteidigt, mag man noch verstehen, dass diese bedruckten Seiten jedoch mit viel medialem Aplomb den "Deutschen Buchpreis 2005" für das beste Buch des Jahres bekommen konnten, das kann ich nur als Menetekel für die Literaturkritik in deutschsprachigen Landen betrachten.

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Quelle: Pool Feuilleton;
Aus manchen Romanen erfährt man als Leser die Hauptbotschaft direkt aus dem Text, aus anderen wiederum aus der Begleitmusik, die diesem Text untergelegt ist.
Arno Geiger hat mit seiner österreichischen Kleinbürger-Saga "Es geht uns gut" genau jenen Sound getroffen, den Preismacher und Buchpromotoren offensichtlich momentan so lieben. Die Lobeshymnen über diesen Roman reißen nicht ab und somit gibt der Roman fürs erste einmal Auskunft darüber, was etwa fünfzig- bis siebzigjährige Literaturmanager gerne heutzutage für förderungswürdig halten.
Also: Gefragt ist eine Familiengeschichte über drei Generationen und eine Rahmenhandlung, die der Gewöhnlichkeit eines österreichischen Daseins eben einen Rahmen gibt. Philipp Erlach erbt die Villa seiner Großeltern und schmeißt alles weg. Aber wie das mit dem Aufräumen so ist, je mehr man die Dinge entsorgt, umso heftiger treten sie in den Vordergrund. Der Roman setzt biologisch sinnigerweise mit 1938 ein, denn gute Familien halten sich an die Zeitgeschichte, und so wird pünktlich zum Einmarsch Hitlers eine Tochter geboren, auf dass der Stammbaum irgendwie sich entfalten kann. Allmählich kriegen auch die anderen Figuren Kontur und ein zeitgeschichtliches Korsett. Der fünfzehnjährige Peter etwa darf sinnlos in den letzten Kriegstagen herum schießen, weil so das Sinnlose gut zum Ausdruck kommt.
Von den Fünfziger Jahren ausgehend kommt artig alles dran, was die Republik an Geschichte zu bieten hat. Typisch österreichisch ist vielleicht das Grußporto, mit dem man jahrelang um fünf Worte verbilligt Ansichtskarten aus Österreich in alle Welt verschicken konnte.
Der aktuelle österreichische Roman ist offensichtlich ein Stationen- oder Marterlroman. Alfred Komarek beispielsweise schickt seinen Käfer immer von einem Gedächtnis-Bildstöckl zum nächsten, Arno Geiger schickt seine Figuren eben von einem nichtswürdigen Datum zum nächsten. So sind die einzelnen Kapitel als Familieneinträge konzipiert, "es" beginnt mit Montag 16. August 2001, hat einen Weißen Sonntag, 8. April 1945 aufzuweisen, streift die Jahre 1938, 1962 oder 1970 und endet wieder am Mittwoch 20. Juni 2001.
Letztlich passiert bloß viel Schrott und vor allem die Gespräche zwischen den jeweiligen Kindern und Eltern sind geradezu läppisch blöd. Auch die Erwachsenen haben sich nicht viel zu erzählen, "ich muss die Uhr nicht unbedingt haben- weil du schon eine hast - weil ich schon eine habe, stimmt genau." (11)
Als Leser erfährt man alles, was man schon weiß auf eine lästig schnarrende Art. Aber dass so was in ist und die Literaturszene darauf abfährt, das ist die wirkliche Botschaft dieses Romans.
Helmuth Schönauer

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